Medizinnobelpreis 1903: Niels Ryberg Finsen

Medizinnobelpreis 1903: Niels Ryberg Finsen
Medizinnobelpreis 1903: Niels Ryberg Finsen
 
Der Däne erhielt den Nobelpreis für seinen Beitrag zur Behandlung von Krankheiten, insbesondere von Lupus vulgaris, mittels konzentrierter Lichtstrahlen. Damit eröffnete er der Medizin neue Wege.
 
 
Niels Ryberg Finsen, * Tórshavn (Färöer) 15. 12. 1860, ✝ Kopenhagen 24. 9. 1904; gründete 1896 das Institut für Lichttherapie in Kopenhagen, wurde 1898 zum Professor ernannt und 1899 zum Ritter des Ordens von Dannebrog geschlagen.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Die Tuberkulose ist eine der großen Geißeln der Menschheit. Noch immer ist etwa ein Drittel der Menschheit mit dieser lebensbedrohenden bakteriellen Infektionskrankheit infiziert. Um 1900 starb in Deutschland noch jeder siebte Erwachsene an offener Tuberkulose. Die Krankheit offenbart sich nur sehr zögerlich. Erst nach langem Siechtum führt sie zum Tod. Die Krankheitsbilder erscheinen zum Beispiel als Auszehrung, Lungenschwindsucht oder als fressende Flechte (Lupus). Die experimentelle Erforschung der Krankheit begann 1843, als der deutsche Arzt Klencke tuberkulöses Material Kaninchen in die Ohrvene spritzte und eine Infektion hervorrufen konnte.
 
Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Tuberkulose in den Mietskasernen der aufstrebenden Industriestädte zu einer sozialen Krankheit. In beengten, unhygienischen, feuchten und lichtarmen Wohnverhältnissen breitete sie sich sehr stark aus. Als Robert Koch (Nobelpreis 1905) 1882 die Tuberkulosebazillen (Mycobacterium tuberculosis) nachweisen konnte, löste er damit eine diagnostische Revolution aus. Schon bald wurde erkannt, dass die verschiedenen Formen der Tuberkulose auf dasselbe Bakterium zurückgehen. Doch die Aussichtslosigkeit einer Therapie der verheerenden Krankheit war damit nicht beseitigt. Als Koch 1890 anlässlich des X. Internationalen Medizinischen Kongresses in Berlin genötigt wurde, sein Tuberkulin der Öffentlichkeit vorzustellen, glaubte alle Welt, die Schwindsucht sei besiegt. Die Ernüchterung darüber, dass dieses Mittel zwar ein hervorragendes Diagnostikum, aber kein Heilmittel war, kam rasch und heftig.
 
 Ein Lichtstrahl am Himmel der Therapie
 
In dieser unbefriedigenden Situation veröffentlichte Niels Finsen 1896 Berichte über seine ersten therapeutischen Erfolge. Es war ihm gelungen, die Hauttuberkulose (Lupus vulgaris oder Tuberculosis cutis luposa) mit Licht zu heilen. Er richtete gebündeltes Licht auf den Lupusherd und hoffte, mit dem ultravioletten Anteil Tuberkelbakterien in der Hautwunde zu töten. Sein erster Patient war ein Ingenieur mit einem grauenhaften Lupus auf der rechten Wange, der seit acht Jahren jeglicher Behandlung getrotzt hatte. Nach langwierigen Bestrahlungen erzielte Finsen eine nahezu vollständige Heilung der offenen Wunde.
 
Sein selbstgebauter Apparat, später Finsen-Lampe genannt, war eine 20-Ampere-Kohlenbogenlampe. Die hohe Stromdichte sorge für eine Bogenentladung, die bläuliches, wenig strahlendes Bogenlicht oder »Finsenlicht« mit kontinuierlichem Spektrum aussandte. Das Licht besaß aber einen relativ hohen Anteil an ultravioletter Strahlung und kam damit dem natürlichen Sonnenlicht sehr nahe. Die Wärmestrahlung filterte er mit roten Gläsern heraus.
 
Finsen hatte zunächst die allgemeine Wirkung des Lichts auf Organismen interessiert. Zuerst untersuchte er die Wirkung auf Pockeninfektionen. 1893 erkannte er den Nutzen von Rotlicht bei der Pockenbehandlung. Dieses Verfahren schien Hautläsionen wirksam heilen und das Auftreten von Narben, die häufig die Folge dieser Krankheit sind, zu verhindern. Als 1889 bekannt wurde, dass UV-Strahlung die Haut schädigen kann, interessierte er sich sofort dafür. Finsen filterte die UV-Strahlen aus dem Sonnenlicht heraus und behandelte die Hautschäden durch die Pockenviren erfolgreich mit diesem Licht.
 
Obwohl diese Arbeiten Finsen große Anerkennung einbrachten, sind ihre Ergebnisse nur von sekundärer Bedeutung. Seine Entscheidung, die Möglichkeiten der Phototherapie zu erforschen, wurde von dem Phänomen beeinflusst, dass Licht das Wachstum von Bakterien reduzieren und sogar tödlich auf Mikroorganismen wirken kann. Finsen wandte seine Lichttherapie daraufhin bei lebendem Hautgewebe an, das Bakterien enthielt. Auch hier erwiesen sich die kurzwelligeren Strahlen als die wirksameren. Seine Arbeiten sind nicht zu vergleichen mit früheren Versuchen, die Hauttuberkulose mit durch Brenngläser gebündeltem Sonnenlicht zu behandeln.
 
 Die Finsen-Lampe leuchtet und heilt
 
Finsen verwendete für seine Experimente zunächst Sonnenlicht, doch mit den Erfolgen zunehmend das starke elektrische Licht seiner Finsenlampe, das er mit Linsen bündelte. Dieses Licht ließ er eine Stunde auf kleine Bereiche der erkrankten Haut fallen, die durch Druck gut durchblutet wurden. Unmittelbar nach der Belichtung rötete sich die behandelte Stelle und entzündete sich ein wenig. Während der nächsten Tage nahmen die Hautirritationen weiter zu. Doch dann gingen sie zurück und die Heilung setzte ein. Narbengewebe bildete sich aus. Manchmal kam es sogar zur Entwicklung gesunder Haut, ohne dass Narben zurückblieben. Seine Methode zeitigte keinerlei nachteilige Wirkungen. Sie war aber sehr teuer, da eine permanente Überwachung für einen längeren Zeitraum notwendig wurde. Die positiven Ergebnisse überwogen jedoch die Nachteile. Das Verfahren wurde in der Folge gegen eine ganze Reihe anderer Hautkrankheiten erfolgreich eingesetzt. Außerordentlich heilsam wirkte es aber vor allem bei der Hauttuberkulose. Keine andere Heilmethode konnte bei dieser Krankheit mit der Phototherapie konkurrieren.
 
Finsens Therapieerfolge sprachen sich sehr schnell herum. Patienten aus nah und fern eilten in seine Praxis, um sich gegen die hartnäckige Hauttuberkulose behandeln zu lassen. Selten mussten sie ohne eine Linderung ihrer Leiden Kopenhagen verlassen, wo Finsen privat forschte, nachdem er 1893 die Universität verlassen hatte. Als er 1896 mit staatlichen und privaten Mitteln das Institut für Lichttherapie gründete, konnte er seine Therapie stark ausweiten. Bis 1901 wurden mehr als 800 Patienten behandelt. Der Hälfte der Leidenden konnte geholfen werden. Das war in Zeiten ohne Antibiotika ein außerordentlicher Erfolg. Noch heute spielt die Phototherapie eine wichtige Rolle in der medizinischen Dermatologie. Sie dient vor allem der Behandlung von Akne, Neurodermitis, Sklerodermie, von Flechten, bestimmten Pilzkrankheiten und der Schuppenflechte (Psoriasis).
 
 Energie bis in den Tod
 
Finsen entstammte einer angesehenen isländischen Familie, deren Stammbaum sich bis ins zehnte Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Er besuchte zunächst die Schule in Tórshavn und anschließend die von Herlufsholm in Dänemark. Sein dortiger Rektor meinte über den kleinen Finsen: »Er ist ein netter Junge; aber er hat keine Begabung und keine Energie.« Diese falsche Einschätzung hing vermutlich mit den Zuständen an der Schule zusammen. Denn als sich seine Familie 1876 in Reykjavik ansiedelte, wurde er schlagartig und trotz mangelnder isländischer Sprachkenntnisse ein guter Schüler. Sein ganzes Leben wäre ohne ein großes Maß persönlicher Energie nicht zu meistern gewesen. Denn spätestens ab 1883 litt er an der perikarditischen Pseudoleberzirrhose. In den letzten Jahren war er an den Rollstuhl gefesselt. Den Nobelpreis konnte er deshalb nicht selbst entgegennehmen. Seine Wissbegier konnte die Krankheit jedoch nicht mindern. Vor seinem Tod soll er sich gewünscht haben: »Könnte ich nur meiner eigenen Obduktion beiwohnen!«
 
U. Schulte

Universal-Lexikon. 2012.

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